Die unerkannte Prüfungsunfähigkeit
„Mir ging es zwar nicht so gut, aber ich dachte, ich mache die Prüfung trotzdem. Ich hatte mich ja gut vorbereitet.“
„Ich hatte schon zweimal nicht bestanden, weil ich immer Prüfungsangst hatte. Als ich vor den Aufgaben saß, kam mir vor als hätte ich einen Blackout. Ich wollte aber die letzte Prüfungschance nun endlich hinter mich bringen und war sicher, ich würde bestehen.“
„Ich war zwar in Therapie. Aber ich wollte nach langer Zeit nun die Prüfung machen. Mein Therapeut meinte, ich würde das schon schaffen [Mein Therapeut meinte, ich solle noch warten. Nach der Prüfung war ich mir sicher bestanden zu haben. Ich konnte es nicht glauben, als ich den Nichtbestehensbescheid erhielt. Ich weiß nicht, warum ich nicht bestanden habe.“
Das sind nur drei typische Antworten, die Rechtsanwalt Drinhaus in Gesprächen mit Mandantinnen und Mandanten auf seine Frage begegnen, ob sie sich gut vorbereitet gefühlt hatten auf die letztmögliche Wiederholungsprüfung.
Zwar könnten klassische prüfungsrechtliche Gründe von fehlerhaften Bewertungen der Leistung als nicht bestanden helfen: fehlerhaft gestellte Fragen, in Multiple-Choice-Prüfungen schlecht konzipierte Antwortvorgaben, in mündlichen Prüfungen ungeduldige oder unaufmerksame Prüferinnen und Prüfer, Form- oder Organisationsfehler der Prüfungsverantwortlichen. Ist dieses aber nicht gegeben, stellt sich die Frage, ob die Exmatrikulation als worst case trotzdem noch abgewendet werden kann.
So kommt anlässlich der oben zitierten Antworten – aber auch nur dann (!) - der Zeitpunkt, zunächst nicht mehr über klassische Bewertungsfehler zu reden, sondern eingehend über das psychische Befinden von Prüfungskandidatinnen und -kandidaten. Rechtsanwalt Drinhaus erläutert, in solchen Gesprächen stelle sich manchmal dar, dass die Betroffenen trotz des Wissens um frühzeitige Rücktrittsmöglichkeiten wegen Prüfungsunfähigkeit gerade nicht diese Konsequenz ziehen. So ergeben sich manchmal durch das kritische Hinterfragen dieses Umgang mit sich und der Prüfung erstmals im Mandantengespräch Anhaltspunkte, dass Kandidatinnen oder Kandidaten zum Prüfungszeitpunkt und darüber hinaus ihre Prüfungsunfähigkeit nicht kannten. Auch nach der Prüfung verblieb Euphorie, bestanden zu haben und dann trat Fassungslosigkeit ein, wenn ein negativer Prüfungsbescheid vorlag.
Hier setzt eines der schwierigsten Themen des Prüfungsrechtes an: die sog. „unerkannte Prüfungsunfähigkeit“.
Sie ist – sollte sie nachgewiesen werden – der letzte Rettungsanker, um eine Prüfung nach Kenntnis des Ergebnisses noch durch einen Rücktritt anfechten zu können. Rechtsanwalt Drinhaus warnt allerdings: „Es ist nicht chancenreich, solches vorzutäuschen, bedarf es doch psychologischer, psychotherapeutischer oder psychiatrischer Nachweise. Deshalb wäre es auch in der anwaltlichen Bearbeitung unseriös, ein solches Szenario zu konstruieren.“
Prüfungsrechtlich geht es formal um die Frage, ob eine Rücktrittserklärung wegen unerkannter Prüfungsunmöglichkeit unmittelbar nach deren Kenntnis zulässig und wirksam ist. Hieran sind strenge Anforderungen gestellt, weil eigentlich der Grundsatz gilt, dass man nach Kenntnis des Prüfungsergebnisses nicht wirksam zurücktreten kann. Es handelt sich also um eine Ausnahme, an die die Prüfungsbehörden, Prüfungsausschüsse und die Verwaltungsgerichte sehr hohe Anforderungen stellen. Rechtsanwalt Drinhaus betont: „Die Prüfungskandidatin oder der Prüfungskandidat muss in einer psychologischen oder psychiatrisch diagnostizierten Ausnahmesituation gewesen sein, die man niemandem wünscht. Sie kommt zwar vor, doch ist die Chance gering, alle Voraussetzungen der Anerkennung einer unerkannten Prüfungsunfähigkeit gegenüber Hochschulen, Behörden oder Gerichten darlegen und beweisen zu können.“
Trotzdem gibt es solche Ausnahmesituationen. Rechtsanwalt Drinhaus berichtet aus unserer Praxis beispielhaft von zwei Fällen, in denen es gelang, diese Situation gegenüber Prüfungsbehörden bzw. Gerichten zu beweisen.
In einem Fall versagte der Prüfungskandidat bei allen schriftlichen Examensprüfungen, obwohl dieses im Gegensatz zu seinem sonstigen überdurchschnittlichen Leistungsniveau stand und er auch einen familiären Hintergrund zur Unterstützung seiner Studien- und Berufswahl hatte. Es stellte sich heraus, dass es nicht um reine Prüfungsangst ging, sondern um tiefgreifende Probleme des Selbstverständnisses über die eigene Person und die Leistungsfähigkeit. Der Mandant hatte sich deshalb schon in ambulante psychiatrische Behandlung begeben. So kamen die Gründe zutage, weshalb er sowohl während der Prüfungen als auch danach nicht in der Lage war, selbstkritisch zu hinterfragen, ob er überhaupt prüfungsfähig gewesen war. Letztlich bedurfte es dazu zweier ausführlicher, sehr fundierter Fachgutachten und einer intensiven prüfungsrechtlichen Argumentation. Nur so gelang es anlässlich eines schon anhängigen Klageverfahrens, das zuständige Prüfungsamt zu überzeugen, dass hinreichende Gründe vorhanden waren, von einer unerkannten Prüfungsunfähigkeit auszugehen. Eine vergleichsweise Einigung verschaffte unserem Mandanten die Genehmigung einer erneuten letzten Wiederholungsprüfung.
Ein weiterer Fall betraf einen Prüfungskandidaten, der beruflich und familiär mitten im Leben stand und ein Unternehmen mit vielen Angestellten führte. Gleichwohl hatte er sich dafür entschieden, parallel dazu einen medizinischen Studiengang zu absolvieren, um später das Unternehmen abzugeben und sich diesem Fachgebiet beruflich zu widmen. Gegen Ende der langen Vorbereitungszeit auf eine mündliche Prüfung stellten sich ernsthafte gesundheitliche Probleme ein, sogar Zusammenbrüche. Die Ursachen bedurften der Abklärung bei verschiedenen Fachärzten und in einer Klinik. Zur gleichen Zeit stand eine mündliche Prüfung an. Unser Mandant geriet in einem deutlichen Konflikt: Die ärztlichen Termine und Untersuchungen waren zum Termin der Prüfung nicht abgeschlossen. Ein Rücktritt von der Prüfung wäre vielleicht nicht genehmigt worden. Große Unsicherheit prägte das Verhalten des Kandidaten, weil die medizinischen Ursachen seiner Zusammenbrüche noch nicht diagnostiziert waren. Die Sorge um sich, die Familie und das Unternehmen prägten sein Denken, nicht die Sorge um das Bestehen der Prüfung. Er begab sich in diese mündliche Prüfung. Dort hatte er mehrfach erkennbar deutliche „Aussetzer“ in der Reaktion auf Fragen, in einer Intensität, das jedem aufmerksamen und erfahrenen Prüfer dieses im Prüfungsgespräch hätte auffallen müssen. Der Kandidat trat nicht zurück und es erfolgte auch kein Abbruch der Prüfung. Man prüfte ohne Beachtung der Situation zu Ende und bewertete die Leistung als nicht bestanden. Hier handelt es sich vielleicht nicht um den ganz typischen Fall der unerkannten Prüfungsunfähigkeit. Doch hatte sich der Kandidat einer Prüfung gestellt, obwohl er sie vor dem Hintergrund seiner persönlichen Situation verdrängte. Hier kam hinzu, dass die Prüfer die Auswirkungen hätten erkennen müssen. Wir erreichten, dass unser Mandant die Prüfung noch einmal ablegen durfte.
Rechtsanwalt Drinhaus erklärt: „Es ist immer besser, sich vor einer Prüfung selbstkritisch mit der Frage zu befassen, ob man prüfungsfähig ist oder sein würde. Ist man zu dieser Reflexion nicht in der Lage, wäre es gut, auf Beobachtungen und auf den Rat von Familienangehörigen, Freunden oder Therapeuten zu hören. Das Problem ist allerdings, dass Prüfungskandidatinnen und -kandidaten sich in einer Situation befinden, die ihnen auch die Bitte um Rat und dessen Annahme unmöglich macht. Sie erkennen das Problem und die fast garantierte Chance des Nichtbestehens gar nicht. Liegt das Ergebnis auf dem Tisch, ist es unausweichlich, Berater zu finden, die die Situation prüfungsrechtlich analysieren und Berater, die psychotherapeutisch oder psychiatrisch Hilfestellung geben können. Es bleibt eine Ausnahme im Prüfungsrecht und der Weg, diese Ausnahme beweisen zu können, ist schwer. Am Anfang steht die Erkenntnis überhaupt und dann eine sofortige Rücktrittserklärung ohne schuldhaftes Zögern. Am Ende ist zu beurteilen und zu beweisen, ob eine Zukunftsprognose gegeben ist, wieder prüfungsfähig zu werden.“