Rechtspolitische Anmerkungen zu Corona und Approbationen – ein Kommentar
Autor: Rechtsanwalt Joachim Drinhaus, Sulzbach (Taunus), Frankfurt a.M., 30.03.2020 *)
Unser Gesundheitssystem sucht dringend nach Ärzten und Pflegepersonal, um die unermüdlich Aktiven in den Kliniken im Kampf gegen Corona zu unterstützen und zu entlasten. Medizinstudentinnen und -studenten werden angeleitet und dürfen helfen. Pensionierte Ärzte, die aus Altersgründen eigentlich zur Risiko-Gruppe gehören, werden zumindest beratend eingesetzt. Krankenschwestern und Krankenpfleger werden gebeten zu helfen, selbst wenn sie aus nachvollziehbaren Gründen dem System den Rücken gekehrt hatten. Viele Freiwillige melden sich und zeigen, welches Potenzial besteht, lässt man Fachleute verantwortlich handeln.
Es gibt aber noch eine weitere Gruppe an Fachleuten, die helfen könnte, durchaus gut ausgebildete Mediziner, die außerhalb der EU erfolgreich studiert, dort oft schon lizensiert (approbiert) sind und meist auch Berufserfahrung gesammelt haben. Diese Berufserfahrung erwarben sie im Heimatstaat oder auch im Ausland. Gelegenheit hierzu bietet auch die vorläufige Berufserlaubnis nach § 10 Bundesärzteordnung (BÄO). Gleichwohl sieht die deutsche Rechtslage nicht vor, dass diese Medizinerinnen und Mediziner eigenverantwortlich in den Kliniken ihren Einsatz bringen können, trotz Motivation, Kenntnissen und hoher persönlicher Belastbarkeit. Denn die vorläufige Berufserlaubnis unterstellt diese Ärztinnen und Ärzte der Aufsicht eines approbierten Arztes zum Schutz der Kranken. Mit anderen Worten: Sie sind eigentlich von Rechts wegen nicht mehr als Praktikanten, hinter denen bei der Behandlung von Patienten ein „richtiger“ Arzt stehen muss, selbst wenn sie schon umfangreiche Berufserfahrung außerhalb Deutschlands gesammelt hatten. Das hilft in der Corona-Krise nicht wirklich! Und jedem Mediziner aus einem dieser sog. Drittstaaten ist heute zu raten, sich nicht in eine Situation zu begeben, die eine verantwortliche Tätigkeit wäre, sei es im Zusammenhang mit Covid19-Patienten, sei es an Patienten, für die aktuell nicht ausreichende andere Ärzte vorhanden sind. Es droht das Strafrecht, selbst bei qualifizierter Arbeit. Stirbt aber ein solcher Patient trotzdem, stellt sich sehr schnell die Frage, wer verantwortlich dafür ist, wenn ein Arzt mit vorläufiger Berufserlaubnis ihn behandelt hat, ohne dass ein approbierter Kollege daneben stand. Rechtspolitisch ist es daher dringend notwendig, dass der Bundesgesetzgeber handelt, und die strenge Vorgabe für Ärzte aus Drittstaaten lockert, notfalls unter gewissen Bedingungen, wie z.B. den Nachweis einer Mindestzeit an Berufserfahrung nach Abschluss des Examens. Jeder Arzt, der ohne Kollegen selbst helfen darf, zählt – egal ob er an Corona-Patienten eingesetzt werden sollte oder an anderen, so dass spezialisierte Kollegen entlastet werden!
Hinzu kommt, dass die vorläufige Berufserlaubnis nur für zwei Jahre gilt. Die zuständigen Behörden sind restriktiv und gestatten zumeist keine Verlängerung. Gutachter, die im Auftrag der Behörden tätig sind, suchen jegliche eventuelle Ausbildungslücke, um die Gleichwertigkeit der Medizinausbildung mit dem deutschen System zu verneinen. Teilweise wird entgegen den europarechtlich zwingenden gesetzlichen Vorgaben nicht einmal dieses „Berufspraktikum“ im Sinne der Berücksichtigung lebenslangen Lernens anerkannt. Wer nach zwei Jahren keine Approbation in Deutschland von den Behörden zugesprochen erhielt, muss den Arztberuf verlassen. Alternativ bleibt nur eine Kenntnisprüfung in Deutschland, die so überlaufen ist, dass eine Wartezeit von ca. einem Jahr für einen Prüfungstermin nicht unüblich ist. Wenn dieses System so weiter praktiziert wird, gehen dem deutschen Gesundheitssystem wertvolle Ressourcen sowohl im Ausnahmezustand der Corona-Pandemie als auch für die Zukunft verloren. Daher ist rechts- und berufspolitisch zu fordern, dass der Bundesgesetzgeber § 10 Bundesärzteordnung anpasst und die vorläufige Berufserlaubnis zumindest für einen mittelfristigen Zeitraum für mehr als zwei Jahre vorsieht. Bis dahin sollten die zuständigen Behörden den Anträgen auf Verlängerung der vorläufigen Berufserlaubnis entsprechen. Denn eine Voraussetzung, die durch § 10 Abs. 3 BÄO definiert wird, könnte angesichts der Pandemie durchaus weit ausgelegt werden. Danach kann eine Verlängerung erteilt werden, wenn dieses die ärztliche Versorgung gebietet. Muss man wirklich die Frage stellen, ob die derzeitige Situation der ärztlichen Versorgung und der unbestrittene Bedarf dieses gebietet? Nach der Vorschrift muss zwar die Gleichwertigkeit der ausländischen Ausbildung in dem Teilgebiet, in dem die weitere vorläufige Berufserlaubnis erteilt wird nachgewiesen werden. Wenn dieses im Einzelfall nicht die Virologie oder Pneumologie sein sollte, könnte es ein Gebiet sein, in dem andere Ärzte entlastet werden können. Sicher ist diese rechtliche Auslegung nur eine wenn auch dringende „Notlösung“ und der Bundesgesetzgeber ist zu adäquaten Rechtsänderungen aufgerufen. Ob ablehnendes Verwaltungshandeln oder gesetzgeberisches Unterlassen vor dem Hintergrund lebensbedrohlicher Entwicklungen allerdings gerechtfertigt wäre, muss die Gesellschaft beurteilen.
*) Der Text gibt die persönliche rechtspolitische Auffassung des Autors wieder und muss nicht mit der Auffassung der für die Veröffentlichung Verantwortlichen übereinstimmen.